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Schmerzensgeld bei Gehirnschädigung

700.000 Euro Schmerzensgeld für schwerste dauerhafte Gehirnschädigung in Folge ärztlicher Behandlungsfehler

Landgericht Aachen verurteilt Krankenhausträger zu hohem Schmerzensgeld

Das Landgericht Aachen hat einem Kind, das aufgrund gravierender ärztlicher Behandlungsfehler in einer Kinderklinik eine schwere Gehirnschädigung mit der Folge lebenslanger geistiger und körperlicher Behinderung, davongetragen hat, ein Schmerzensgeld von 700.000 Euro nebst Zinsen zugesprochen.

Das Kind war mit zweieinhalb Jahren mit Durchfall, Erbrechen und Fieber in die beklagte Kinderklinik eingeliefert worden. Es war an tuberkulöser Meningitis erkrankt, was die behandelnden Ärzte jedoch zunächst nicht erkannten. Ihnen unterliefen vielmehr mehrere grobe Behandlungsfehler. Dies begann bereits mit einer unzureichenden Anamnese bei Aufnahme des Patienten. Trotz erhöhter Tuberkulose-Inzidenz bei Kindern nicht-deutscher Herkunft wurde bei dem Patienten, der türkischer Herkunft ist, nicht nach Tuberkulose-Erkrankungen in der Familie gefragt. Es erfolgte keine ausreichende Anamneseerhebung bezüglich Infektionskrankheiten und Ansteckungsmöglichkeiten. Dies widersprach bereits dem medizinischen Standard. Behandlungsfehler: Verspätete Diagnose und verspäteter Therapiebeginn

Erst fünf Tage nach Aufnahme in das Krankenhaus wurden die erforderlichen Befunde erhoben, wodurch die zutreffende Diagnose verspätet gestellt und die geeignete Therapie erst später eingeleitet werden konnten.

Ein weiterer Behandlungsfehler erfolgte, indem selbst nach der zutreffenden Diagnose zunächst keine geeignete Therapie gegen die tuberkulöse Meningitis eingeleitet wurden.

Das Landgericht Aachen schloss sich der Wertung des Sachverständigen an, wonach die festgestellten Verstöße gegen die fachmedizinischen Standards und bewährten ärztlichen Behandlungsregeln objektiv nicht mehr nachvollziehbar und unverständlich seien. Für die Fehler gebe es keine nachvollziehbaren Gründe. Sie hätten einem Facharzt nicht unterlaufen dürfen. Rechtzeitige Therapie hätte Behinderung verhindert oder gemildert

Die verspätete Einleitung der richtigen Therapie erwies sich als fatal. Zum Zeitpunkt seiner Einlieferung in das Krankenhaus befand sich das Kind bereits in Phase I-II des Stadiums der tuberkulösen Meningitis. Je früher mit der geeigneten Therapie begonnen worden wäre, desto wahrscheinlicher hätte der Beginn der Phase II verhindert und das Ausmaß der verbleibenden Behinderung vermieden werden können. Auch wenn die rechtzeitige Diagnose und Einleitung der richtigen Therapie nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur vollständigen Genesung geführt hätte, so hätte die Ausprägung der verbleibenden Behinderung doch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit deutlich reduziert oder verhindert werden können.

Mit der Therapie wurde jedoch erst in einem so weit fortgeschrittenen Krankheitsstadium begonnen, dass eine vollständige Heilung nicht mehr möglich war. Es kam zum Übergang in Stadium III der Krankheit. Schmerzensgeldbemessung orientiert sich vornehmlich an erlittenen Schäden

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes von 700.000 Euro nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz berücksichtigte das Landgericht vornehmlich die Schwere der erlittenen Schäden, das verletzungsbedingte Leiden und die verbleibenden Dauerschäden. Schwere körperliche und geistige Behindung aufgrund der Behandlungsfehler

Das Kind leidet aufgrund der Behandlungsfehler an einer "schweren Mehrfachbehinderung infolge schwerer cerebraler Schädigung mit rechtsbetont spastischer Tetraplegie, einer Oculomotoriusparese, therapieresistenten Krampfanfällen und schweren Bewusstseinsstörungen mit vegetativer Dysregulation". "Es befindet sich motorisch auf dem Entwicklungsstand eines drei bis vier Monate alten Kindes und ist in erheblichem Umfang pflegebedürftig." Es sitzt oder liegt in einem Rollstuhl mit Sitzschale, wird über eine PEG-Sonde alle zwei Stunden mit Tee versorgt und benötigt in allen Lebensbereichen die Unterstützung eines Pflegers. Der Kläger kann sich nur über mimische Aktivität und Töne in unterschiedlicher Tonart und Lautstärke bemerkbar machen. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule ist schmerzhaft eingeschränkt, er trägt tags und nachts Unterschenkelorthesen. Die zentrale Steuerung der Körpertemperatur ist gestört, so dass der Körper schnell auskühlt und eines kontinuierlichen Wärmens von außen bedarf. Die Belüftung der Lungen ist reduziert. Jeder bronchiale Infekt ist ein gesundheitliches Risiko. Kläger bleibt auf Entwicklungsstand eines 3-4 Monate alten Kindes

Das Gericht konstatierte, dass dem Kläger aufgrund der Erkrankung ab dem Alter von zweieinhalb Jahren dauerhaft jede Möglichkeit einer körperlichen und geistigen Entwicklung genommen sei. Er könne somit keine Lebensphase - Kindheit, Jugend, Erwachsensein und Alter - bewusst erleben und seine Persönlichkeit altersentsprechend entwickeln. Er sei Zeit seines Lebens in ganz erheblichem Umfang pflegebedürftig und müsse sich in regelmäßigen Abständen gravierenden stationären Behandlungsmaßnahmen und operativen Eingriffen unterziehen. Bedenkliches Regulierungsverhalten der Beklagten wikt schmerzensgelderhöhend

Als schmerzensgelderhöhend wertete das Gericht ferner das zögerliche Regulierungsverhalten der beklagten Krankenhausträgerin bzw. der dahinter stehenden Haftpflichtversicherung. Auch nachdem die Behandlungsfehler gutachterlich festgestellt worden waren, hat die Beklagte die Ansprüche nicht einmal dem Grunde nach anerkannt und auch die materiellen Schäden nicht zumindest teilweise reguliert; obwohl es keine ernsthaften fachlichen Bedenken gegen das Gutachten gab.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes orientierte sich das Landgericht Aachen an einer Entscheidung des Landgerichts Kleve (Urteil vom 09.02.2005, Az. 2 O 37/01). Die dort zugesprochene Schmerzensgeldrente von monatlich 500,00 Euro kapitalisierte das LG Aachen und erhöhte den so ermittelten Schmerzensgeldbetrag unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich eingetretenen Geldentwertung.